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Stellungsbeurteilung Teil I – Die theoretischen Grundlagen

Publiziert am von Markus Regez

In jeder Schachposition prallen Kräfte beider Seiten aufeinander. Sofort stellen sich Fragen wie: Wer steht besser? Was ist der richtige Plan? Wo sind die Angriffspunkte? Welchen Stellungstyp habe ich vor mir und wie ist er zu behandeln? Welche Massnahmen haben Priorität? Verteidigen, Angreifen oder Manövrieren? Wo kann ich Druck ausüben? Die Antworten auf all diese Fragen hängen immer von konkreten Kräfteverhältnissen und dem Zusammenwirken aller Figuren auf dem Brett ab.

Die möglichst korrekte und differenzierte Beurteilung einer bestimmten Position ist eine wertvolle Grundlage. Auf ihr lässt sich aufbauen und ein Plan entwickeln. Oder der Spieler findet im Prozess der Beurteilung wertvolle Ideen für taktische Berechnungen.

Karpov und Mazukevich haben in ihrem Buch Stellungsbeurteilung und Plan, (Sportverlag 1987) sieben Kriterien aufgestellt, die eine Hilfe darstellen, jede beliebige Position zu beurteilen und in einem zweiten Schritt, den stellungsgerechten Plan abzuleiten.

 

    • Materielles Kräfteverhältnis
    • Vorhandensein unmittelbarer Drohungen
    • Lage der Könige (ihre Gefährdung)
    • Beherrschung offener Linien und Diagonalen
    • Bauernstruktur, schwache und starke Felder
    • Zentrum und Raum
    • Entwicklung und Anordnung der Figuren

 

Karpov schreibt: „Der Schachspieler vergleicht anhand dieser sieben Kriterien seine Möglichkeiten mit denen des Gegners, er bewertet die Stellung und leitet daraus seinen Plan ab. Danach sucht er konkrete Züge und beginnt dann erst mit der Variantenberechnung.“

Ganz wichtig ist es, zu einem Gesamturteil zu gelangen und nicht nur zu wissen wer nun besser steht, sondern auch warum er besser steht. Es geht um die Details und Besonderheiten, die es zu entdecken gilt. Je nach Übung braucht es für das Beurteilen aller Elemente rund fünf bis sieben Minuten.

 

Zu welchem Zeitpunkt innerhalb einer Partie ist Stellungsbeurteilung sinnvoll?

Ein weiterer Tipp lautet, dass der Schachspieler während einer Partie die Stellungsbeurteilung vornehmen sollte, wenn der Gegner am Zug ist. Damit kann er nicht nur Bedenkzeit sparen, sondern viele wertvolle (verborgene) Ideen zur vorliegenden Stellung sammeln. Dadurch gewinnt das eigene Spiel zunehmend an Tiefe. Zur Variantenberechnung soll der Spieler erst übergehen, wenn er am Zug ist. Dies empfiehlt unter anderem Alexander Kotov in seinem Buch, „Denke wie ein Grossmeister“.

 

Trainingsmöglichkeiten

Es lohnt sich, wenn die Stellungsbeurteilung auch im Training immer wieder geübt wird. Je mehr Erfahrung ein Spieler darin erlangt, desto genauer kann er eine beliebige Position einschätzen. Grundsätzlich kann jede beliebige Position als Trainingsmaterial dienen. Bewerten, Planen, Analysieren, Berechnen, Hinterfragen, Schlussfolgerungen festhalten… wer so trainiert, verbessert seine Spielstärke garantiert.

 

Weiterführende Literatur:

Anatoli Karpow, Anatoli Mazukewitsch, Stellungsbeurteilung und Plan, Sportverlag Berlin, Erste Auflage, 1987.

Alexander Kotov, Denke wie ein Grossmeister, Edition Olms, Zürich 1990.